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Krise nach dem ersten Schrei

 

Unbehandelte Depressionen nach der Geburt gefährden Mutter und Kind

Wien - "Innerhalb der ersten Monate nach der Geburt eines Kindes ist das Risiko für eine psychiatrische Aufnahme für Frauen sechsfach erhöht", erklärt Heinz Katschnig, Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie am Wiener AKH. "Die meisten dieser Frauen waren vorher völlig gesund und hatten auch keine psychiatrischen Vorerkrankungen." Der "Baby-Blues" ist ein unterschätztes Leiden, das in manchen Fällen durch das unfreundliche Novemberwetter - an sich schon ein Quell depressiver Verstimmungen - noch weiter verstärkt werden kann.

Bisherige Studien sehen die Ursachen der postpartalen, also nach der Entbindung auftretenden Depression in der hormonellen Umstellung, belastenden Ereignissen, einem traumatischen Geburtserlebnis wie zum Beispiel einem unerwarteten Kaiserschnitt, mangelnder sozialer Unterstützung, Partnerschaftskonflikten und familiären Problemen wie einer besserwisserischen Schwiegermutter mit ihren Babytipps.

Risikofaktor Armut

"Ein wesentlicher Faktor ist auch die Armut", sagt Elisabeth Küffer, Psychotherapeutin und Gynäkologin des Gesundheitszentrums Nord der Wiener Gebietskrankenkasse. "So sind etwa Migrantinnen in einem hohen Ausmaß gefährdet, eine postpartale Depression zu entwickeln. Ein fremdes Land, eine fremde Sprache und soziale Unsicherheit stellen zusätzliche Belastungen für die junge Mutter dar." Während der "Baby-Blues" keine spezielle Therapie benötigt und zeitlich begrenzt ist, können andere Erkrankungen postpartalen Ursprungs ausgesprochen gefährlich sein. "Das Spektrum reicht vom ,Baby-Blues' über die häufige und oft undiagnostizierte postpartale Depression bis zur schweren Erkrankung der postpartalen Psychose, die früher auch Stillpsychose genannt wurde."

Immerhin bis zu 15 Prozent der Gebärenden erleben nach der Geburt eine so genannte nichtpsychotische postpartale Depression. "Das ist ein schweres, sowohl Mutter als auch Kind beeinträchtigendes Krankheitsbild", sagt Katschnig, der im kommenden Jänner in Wien zu diesem Thema die Tagung "Mutterglück und Mutterleid" mitveranstalten wird.

Gefahr für das Kind

Zusätzlich zu den herkömmlichen Symptomen einer Depression beziehen sich die düsteren Gefühle vieler betroffener Frauen auch auf das Neugeborene. "Die Frauen leiden unter der Angst, das Baby zu verletzen, es nicht richtig versorgen zu können, oder sie haben mangelndes Interesse am Kind, das sich bis zur Vernachlässigung steigern kann", sagt Katschnig. "Die Angst, das Kind zu verletzen, kann sich bis zu Zwangsgedanken steigern." Bleiben solche Depressionen unbehandelt, können sie chronisch werden, Partnerschaft und Mutter-Kind-Beziehung stören und damit, so Katschnig, "schwerwiegende kognitive und emotionale
Entwicklungsstörungen beim Baby zur Folge haben". Häufig komme es bei den Kindern zur Entwicklung einer frühkindlichen Depression.

Besonders wichtig ist das frühzeitige Erkennen einer postpartalen Depression und eine rasche Intervention. Beides könnte durch strukturelle Maßnahmen verbessert werden. "In Österreich fehlt es an Mutter-Kind-Einheiten zur Versorgung für schwere Fälle", meint Küffer. "Es müsste, wie in den angelsächsischen Ländern üblich, psychiatrisches Pflegepersonal für die Mutter und Kinderschwestern für das Baby in Verbindung mit gynäkologischer Betreuung zur Verfügung stehen." Der derzeitige Versorgungsmangel in Österreich, meint Küffer, wirke sich ungünstig auf die Therapiebereitschaft der betroffenen Frauen aus, denn die meisten Mütter wollen nicht ins Krankenhaus, wenn sie ihr Kind zu Hause lassen müssen.

Unbegründete Angst

Die medikamentösen Möglichkeiten bei Wochenbettdepressionen reichen von pflanzlichen Antidepressiva wie etwa Johanniskraut bis hin zu so genannten Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern. Doch viele Frauen hätten noch Angst vor einer medikamentösen Therapie. Diese Sorge, meint Küffer, sei unbegründet, denn mittlerweile gebe es Produkte, die auf Frauen mit Wochenbettdepressionen zugeschnitten sind. Außerdem wird diese Therapie nur als Kurzzeit-Intervention eingesetzt, und es darf weiterhin gestillt werden.

Psychotherapeutisch bewähren sich Gruppentherapien. "Die Tatsache, dass Mutter und Kind in der ersten Zeit in unserer Gesellschaft ohnehin stark abgeschottet und allein sind, stellt eine Gefahr an sich dar, und gerade Frauen mit dieser Erkrankung müssen raus und Kontakte halten", empfiehlt Küffer. Für die depressive Mutter sei es ganz besonders wichtig zu wissen, dass sie nicht die einzige Frau ist, die von solchen Problemen betroffen ist.

© Der Standard

Die Tagung "Mutterglück und Mutterleid" findet am Samstag, dem 13.1.2001 von 9-18 Uhr im Etablissement Ronacher statt.

 

Zentrum Rodaun, 1230 Wien, Kaltenleutgebnerstraße 13A / 23
Tel: 01/8892572, 01/8891021 e-mail: team@zentrum-rodaun.at