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Dicke im sozialen Out?

von Birgit Oberwalder

 

Menschen mit Übergewicht kämpfen nicht nur gegen überschüssige Kilos, sondern auch gegen viele Vorurteile. Sie werden als weniger intelligent und unsympathischer als Normalgewichtige empfunden. Dass adipöse Kinder und Jugendliche durch ihre Altersgenossen regelrecht stigmatisiert werden, wurde nun in einer Studie der Universität Tübingen bestätigt.

 

35% der Österreicher und 20% der Österreicherinnen sind zu dick. Bei den Kindern und Jugendlichen sind es ein Fünftel, Tendenz steigend. Der Anblick von dicken Menschen ist also schon lange kein seltener mehr und gehört zum normalen Alltagsbild. Trotz der häufigen Präsenz sind adipöse Personen noch immer mehreren Vorurteilen ausgesetzt.

Stereotype Gesellschaft

So wie die Geschlechter, bestimmte Berufsgruppen oder auch Kulturen, unterliegen adipöse Menschen der hartnäckigen Stereotypen. Das Stereotyp ist nichts anderes als ein eingebürgertes Vorurteil mit festen Vorstellungsklischees bezogen auf eine Gruppe ­ in diesem Fall eben Übergewichtige. Konkret bedient man sich hier des Klischees des faulen, trägen, willenschwachen und dummen Übergewichtigen. Bekräftigt werden diese Vorurteile natürlich durch die physische Einschränkung eines Überwichtigen. Diese körperliche Behinderung assoziieren viele Menschen mit geminderter Intelligenz und Leistungsbereitschaft. Dass die Betroffenen zusätzlich als unattraktiv empfunden werden, macht es den Schwergewichtigen nicht gerade leichter..

Vorurteile in der Tübinger Studie

Die Forscher der Universität Tübingen (Thiel, Alizadeh und Zipfel) befragten 454 Schüler zwischen zehn und 15 Jahren. Dabei interessierte die Wissenschaftler vor allem fünf Stereotype im Bezug auf Übergewichtige. Sie zeigten den Schülern Bilder von normalgewichtigen und adipösen Mädchen und Jungen. Weiters wurden ihnen Bilder von normalgewichtigen Kindern im Rollstuhl gezeigt. Das Ergebnis zeigte, dass die befragten Schüler die adipösen Kinder "am wenigsten sympathisch" fanden und diese auch am seltensten als Spielkameraden aussuchten. Zwei Drittel der befragten Schüler stuften den "adipösen Jungen" als am "wenigsten intelligent" ein . Beinnahe alle Befragten stuften die übergewichtigen Kinder als "am faulsten" ein. Am sympathischsten waren den Befragten das "normalgewichtige Mädchen". Normalgewichtige körperbehinderte Kinder wurden in etwa so eingestuft, wie normalgewichtige Jungen. Allgemein wählten Mädchen adipöse Kinder seltener als Spielkameraden aus als Jungen.

Erwähnenswert ist hier die Tatsache, dass die Kinder teilweise nicht blindlings die Fotos beurteilten. Teilweise kam es zu Diskussionen über die Art der Befragung, der Zuordnung von Eigenschaften zu Kindern, die man nur auf einem Bild gesehen hat. Manche der Schüler verweigerten sogar die Teilnahme.

Körperfülle im Wandel der Zeit

In den wirtschaftlich mageren Zeiten galt Körperfülle als Zeichen für Wohlstand und war somit attraktiv, im Sinne von "harte Zeiten, weiche Kurven". In den 50er Jahren des 20sten Jahrhunderts galt ein korpulenter Körper als ein Zeichen für "Erfolg". Seit den 70er Jahren änderte sich die Einstellung enorm. Vor allem durch das Auftreten des Massensports änderte sich der Stellenwert des Aussehens. Heute, so Thiel vom Forscherteam der Uni Tübingen, ist das richtige Schlagwort für Erfolg: Fitness. Das heißt, dass an sich selbst gearbeitet wird und wenn man nicht fit und sportlich ist, so wird daraus gefolgert, dass man faul ist. Mit anderen Worten: Dicke haben keine Fitness, sind also nicht bereit (an sich) zu arbeiten und sind somit faul. Daher die Vorurteile, dass übergewichtige Menschen faul, träge, unintelligent, unsauber und willensschwach sind.

Der Horror vorm Dicksein

Wie sehr die Vorstellung dick zu sein abschreckt, zeigt eine Online-Umfrage der Yale-Universität vom Mai 2006. Dort gaben 4.000 Menschen an, was sie lieber in Kauf nehmen würden, als übergewichtig zu sein: 15 bis 30 Prozent würden eher den Ehepartner aufgeben, oder die Möglichkeit Kinder zu bekommen oder eine Depression bzw. Alkoholsucht in Kauf nehmen, als dick zu werden. Fünf Prozent würden sogar lieber blind werden, als adipös.

Quelle: Pressedienst Tübingen

 

 

Unser Kommentar: Diese Studie erscheint auf den ersten Blick erschreckend. Aber ich denke, dass in so manchem "Vorurteil" eine Menge Wahrheit steckt. Zum einen ist anzumerken, dass es sich hier um adipöse Menschen handelt ­ also um wirklich fette, stark übergewichtige Menschen und nicht um etwas beleibte, oder "etwas festere" Menschen. Es ist nun mal eine Tatsache, dass stark beleibte Menschen in ihrer Bewegung behindert sind und nicht so agil und spritzig sind, wie Normalgewichtige. Wenn nun die Mädchen stärker die adipösen Kinder als Spielkameraden ablehnten, so ist dies nachvollziehbar, denn was spielen Kinder normalerweise? Fangen, Verstecken und ähnliches ist mit einem wirklich stark übergewichtigen Kind wohl nicht so lustig, weil es einfach nicht fähig ist, sich so zu bewegen wie seine schlanken Altersgenossen. Trotz mancher Nachvollziehbarkeit ist dennoch darauf zu achten, dass "Dicke" nicht gemobbt werden.

Adipös zu sein ist nicht schön, es ist auch nicht gesund! Fettsucht ist eine Krankheit und nur weil immer mehr Menschen davon betroffen sind, darf diese Krankheit nicht als normal akzeptiert werden. Den Betroffenen muss geholfen werden. Sie leiden ja nicht nur darunter, dass sie sich schlechter bewegen können und jede noch so kleine Anstrengung sie an ihre Grenzen bringt, sondern sie werden durch ihre Einschränkung vom normalen Alltag isoliert. An Fettsucht leidende Kinder sind einfach auch oft müde und unkonzentriert. Dazu kommen noch mögliche Folgeerscheinungen wie z.B. Probleme mit den Gelenken, den Gefäßen oder Diabetes. Rechtzeitiges Gegensteuern durch entsprechende Angebote für einen anderen Umgang mit Ernährung und Bewegung kann den Kindern vieles leichter machen und auch das - siehe Studie - manchmal drohende soziale "Out" helfen, hintanzuhalten.

Birgit Oberwalder/Zentrum Rodaun

 

Ein Hinweis: Zentrum Rodaun plant ab 2008 ein spezielles langfristiges Betreuungsprogramm für übergewichtige Kinder. Nähere Informationen geben wir Ihnen gerne.

 

Links:

ORF Science:

http://science.orf.at/science/news/149538

http://science.orf.at/science/news/149428

Der Standard:

http://derstandard.at/?url=/?id=2880653

Net Doktor (Definition von Adipositas):

http://www.netdoktor.at/krankheiten/fakta/fettleibigkeit.htm

Wikipedia Adipositas:

http://de.wikipedia.org/wiki/Adipositas

Wiener Initiative gegen Essstörungen:

http://www.essstoerungshotline.at/enquete

 

Literaturtipps:

Helga Momm-Zach: Adipositas - Der Leidensweg der dicken Kinder. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

Wabitsch, Hebebrand und Kiess: Adipositas bei Kindern und Jugendlichen. Grundlagen und Klinik Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

R. Portmann: Problem Dicke Kinder. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!


Weitere Informationen zu diesem Themenbereich finden Sie in unseren Beiträgen

Rund und ungesund - die neue Generation?

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