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Kinder - Zeugen urbaner Gewalt

von Simone Georgieva

 

Urbane Wohnräume mit hoher Kriminalitätsrate stellen nicht unbedingt ein optimales, soziales Umfeld für die kindliche Entwicklung dar. Die ständige Konfrontation mit Gewalt ist eine seelische Belastung und stresst den Körper. Welche psychischen und vor allem physischen Folgeerscheinungen sich für Kinder, die in Gebieten mit einer hohen Kriminalitätsrate aufwachsen ergeben können, untersuchten amerikanische Wissenschaftler.


Für viele junge Menschen und Kinder in den USA, die in städtischen Vierteln aufwachsen, stehen Gewalterfahrungen an der Tagesordnung. Einerseits sind sie regelmäßig Zeuge von brutalen, teilweise tödlichen Verbrechen und ein Drittel wird selbst zum Opfer. Langfristig wirken sich derart traumatische Belastungen negativ auf die Gesundheit aus. Einerseits ergeben sich soziale, kognitive und emotionale Probleme, andererseits verändert sich die Reaktion des Köpers auf Stressoren. Kinder, die in einem Umfeld mit hoher Kriminalitätsrate aufwachsen, weisen eine Änderung in der Cortisolregulation auf. Cortisol ist ein Hormon, dessen Ausschüttung vom Hypothalamus und der Hypophyse gesteuert wird. Traumatische Erfahrungen bewirken eine Störung in diesem Stressregulationssystem. Zu dieser Erkenntnis kamen, gestützt durch vorhergehende Befunde,  Shakira Franco Suglia und ihre Mitarbeiter von der Harvard School of Public Health.

Traumatische Erfahrungen

Um festzustellen, ob Gewalterfahrungen, posttraumatischen Stresssymptome und der Cortisolspiegel miteinander in Zusammenhang stehen, untersuchten die Forscher 43 Kinder; es nahmen 28 Mädchen und 17 Jungen aus städtischen US-Gebieten mit einer hohen Kriminalitätsrate an der Studie teil. Die Mütter berichteten über Erlebnisse ihrer Kinder, und Kinder ab 8 Jahren erzählten zusätzlich selbst über ihre Erfahrungen, um einen Einblick in das Ausmaß des Gewalteinflusses zu gewinnen. Fragen, die erhoben wurden waren beispielsweise, ob die Kinder Schlägereien, Messerstechereien, oder Schießereien mit ansehen mussten und es sollten auch die kindlichen Reaktionen beschrieben werden. Insbesondere wollte man posttraumatische Stresssymptome, wie Schlaflosigkeit, Verhaltensauffälligkeiten, Aggressionen, depressive Symptome, Konzentrations- oder Schlafstörungen, übermäßige Besorgnis, etc. ausmachen. Als die Kinder zwischen 7 und 13 Jahren waren, mussten sie viermal täglich, (nach dem Aufwachen, Mittag- und Abendessen und vor dem zu Bettgehen) an drei Tagen hintereinander Speichelproben abgeben, um ihren Cortisolspiegel festzuhalten. Die Proben, insgesamt 482 „zulässige“ wurden im Labor der Harvard Universität ausgewertet.

Wenig Überraschungen   

Die Ergebnisse sind wenig überraschend: Gewaltexpositionen begünstigen posttraumatische Stresssymptome und sie beeinträchtigen die Regulation von Cortisol. Normalerweise ist der Cortisolspiegel morgens erhöht und sinkt im Laufe des Tages ab. Belastete Kinder weisen mehr Stresssymptome auf und ihr Cortisol-Level ist vor allem nachmittags und abends erhöht und der Spiegel ist umso höher, je mehr Gewalt die Kinder erfahren. Die Ergebnisse werden durch Befunde früherer Studien gestützt, in denen bei misshandelten oder vernachlässigten Kindern ebenfalls ein veränderter Cortisolspiegel festgestellt worden war.

Beeinträchtigungen in der Cortisolregulation bergen einerseits das Risiko das Immunsystem zu schwächen und andererseits den Fettanteil im Bauchbereich zu erhöhen. Dies begünstigt wiederum kardiovaskuläre Erkrankungen und die Wahrscheinlichkeit für Diabetes. Ein weiteres Problem bei Kindern, die in einer gewaltvollen Umgebung aufwachsen ist, dass die Symptome häufig von Ärzten nicht wahr- oder ernst genommen werden, da sie nicht stark genug ausgeprägt sind um etwa als posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert zu werden. Dieser Umstand kann letztlich für viele Kinder zu schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen, so Dr. Shakira Franco Suglia.

Quelle: springerlink 



Unser Kommentar: Die hohe Kriminalitätsrate stellt nicht nur in den Großstädten der USA ein Problem dar, auch “hier zu Lande“ kommen Gewalttaten vor. Wie können Eltern dem Grundbedürfnis ihrer Kinder nach Sicherheit und Geborgenheit gerecht werden, wenn äußere Umstände diesen Anspruch bis zu einem gewissen Grad determinieren und nicht die Möglichkeit einer räumlichen Veränderung gegeben ist? Wichtig ist es vermutlich, sensitiv für die Reaktionen eines Kindes zu sein und bei Bedarf über Ängste und Erlebnisse zu sprechen, damit sich Kinder mit belastenden Erfahrungen nicht alleine gelassen fühlen. Außerdem wäre es für Eltern ratsam nicht der Versuchung der Überbehütung zu unterliegen. Denn einerseits besteht die Gefahr, dass  elterliche Ängste auf das Kind projiziert werden und andererseits ist eine schrittweise, dem Alter angepasste Integration vorhandener Bestände für die Entwicklung bedeutsam.

Simone Georgieva/Zentrum Rodaun





Literaturtipps:

Kurt Zänker: Das Immunsystem des Menschen: Bindeglied zwischen Körper und Seele. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

Rita Rosner, Regina Steil: Posttraumatische Belastungsstörung. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

Ulrike Petermann: Die Kapitän-Nemo-Geschichten: Geschichten gegen Angst und Stress. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

Ferner:

Gerard Jones, Barbara Schaden: Kinder brauchen Monster: Vom Umgang mit Gewaltphantasien. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

Eva J. Anders-Hoepgen: Auf Gewalt geschaltet: Zusammenhänge zwischen pränatalen, perinatalen und frühkindlichen Erfahrungen und späterer Gewalttätigkeit und Möglichkeiten der Frühprävention. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!



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