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Anmerkungen zur Internet-Generation

von Fritz Goergen

 

Der nachstehende Text ist einer Studie des Liberalen Instituts Zürich über "Arbeits- und Lebensformen in der Zukunft" (Hg: Robert Nef und Gisela Steimer) entnommen. Die "Internet-Generation" ist dabei derart treffsicher beschrieben, dass wir den Text hier unbedingt wiedergeben wollten. Alle, die den Begriff "Internet-Generation" abwertend oder diskreditierend verwende(te)n, sehen dabei ziemlich alt aus...

Der Kommentar zu diesem Artikel stammt folgerichtig von einem Vertreter der Netz-Generation: Hannes Erven ist Jahrgang 1982 - und der Homepage-Programmierer und Webmaster von Zentrum Rodaun Online.

 

Spielend lernen und kommunizieren

Mit der Formel 24*7 sagen sich amerikanische Teenies auf ihrem Pager oder PC: Sorry, ich kann der Einladung nicht folgen, da ich 24 Stunden sieben Tage lang ausgebucht bin. Wer (nicht nur in den USA) zur Generation des Baby Boom Echo gehört, wächst mit allen Formen und Weisen der elektronischen Kommunikation auf wie früher mit Telefon, Radio und Fernsehen. Für diese seit 1977 Geborenen sind der Personal Computer, das Internet, Multimedia und all die anderen Accessoires im Real-Time-Age selbstverständlich: Sie waren doch schon da, als wir ankamen, sie gehören dazu. Warum und wieso sich die Oldies darüber den Kopf zerbrechen? Keine Ahnung.

Net Generation meint in Amerika die jungen Leute, die noch vor dem Millennium zwei bis zweiundzwanzig Jahre alt sind. Zwei Drittel der Kids benutzen dort einen PC - zu Hause oder in der Schule. Online sein, finden Amerikas N-Geners gleich wichtig wie den Date oder die Party: 1994 war Online zu sein für 50 Prozent in, 1999 für 90. Den Daten der Electronic Industries Association zufolge betragen die Umsätze mit Computer- und Video-Spielen 10 Mrd. Dollar - 5,6 davon allein in den USA: Damit überrundeten sie Hollywoods Filmindustrie. Das bedeutet nicht nur viele neue Jobs. Zuerst dienen die elektronischen Instrumente der Internet-Generation dem Entertainment. Das geht gleitend ins Lernen mit Hilfe elektronischer, heute digitaler, Medien über. Über 60 Prozent der US-Haushalte mit Kindern besitzen einen Computer. Seit zehn Jahren verbreiten sie sich mehr und mehr auch in Klassenzimmern. Wie sehr Lernen durch den Einsatz von Computern nicht zuletzt bei sogenannten Behinderten und anderen Spezialbegabungen verbessert wird, spricht sich herum. Dass deutsche Firmen Informatikstudenten aus deutschen Hochschulen mit lukrativen Angeboten zum Soforteinstieg in den Job weglocken, ist nur ein kleines Symptom der flächendeckenden und tiefgreifenden Auswirkungen der Kommunikationsrevolution in der globalen Wirtschaft der lokalen Welten. Dass unter 20 Prozent der EU-Schulen und über 60% in Amerika Internet-Zugang haben, bleibt eine katastrophale Vernachlässigung der Chancen unserer jungen Generation, auch wenn sich diese längst selbst hilft.

Der Umgang mit PC und Multimedia zählt im Wissens-Zeitalter nicht zu den Fertigkeiten von Spezialisten. Lesen, Schreiben und Rechnen werden überwiegend elektronisch getan. Wer das nicht sehr früh beherrscht, gehört zu den neuen Analphabeten.

Vor allem aber sind elektronische Medien für die Generation @ der Net Gener dazu da, miteinander Kontakte und Freundschaften zu pflegen. Marktforscher von Teenage Research Unlimited haben 1997 erhoben, daß zwei Drittel der amerikanischen Kinder sich von zu Hause, der Schule oder Dritten aus im Netz bewegten. 1998 verfügen 15 Millionen N-Gener in Nordamerika entweder über einen eigenen Internet-Zugang oder den der Eltern. Chat-Groups und Online-Konferenzen wachsen wie Pilze aus dem Boden der Kommunikationskultur der jungen Leute.

E-mail me steht nicht nur auf ihren T-Shirts, sondern prägt ihr tägliches Leben. Die ausgestorbene Brieffreundschaft kehrt als Net-Pets oder C-friends (Cyber friends) massenhaft wieder. Die virtuelle Geburtstagsparty ist nicht nur in: Man kann sie eben von überall aus besuchen. N-Gener managen ihre Finanzen mit dem PC oder bringen Ordnung in das Finanzdesaster der ganzen Familie. Sie organisieren Protestaktionen online. Was ihnen ihre Lehrer erzählen, checken sie im World Wide Web. Finnlands Regierung hat 5000 ihrer N-Gener Finnlands Lehrer im Umgang mit PC und Internet unterweisen lassen. Nicht nur diese Schüler und Lehrer werden danach ein völlig anderes Verhältnis zueinander haben als davor. Aber das wird nicht nur für diesen kleinen Personenkreis gelten, sondern für die Beziehungen von mehr und mehr Menschen im Zeitalter der Wissensarbeit.

Virtuelle Vorbilder

Die Echo Boomer der USA geben nach Teenage Research jährlich 220 Milliarden DM aus. Deutsche Teenager achten zu 74 Prozent darauf, daß die Eltern die richtige Computermarke, zu zwei Drittel den richtigen Bildschirm und 70 Prozent den richtigen Drucker kaufen. Sie beeinflussen die Kaufentscheidungen ihrer Eltern mehr als jede Jugend zuvor. Kein Wunder, wo doch die Jungen den Alten erklären müssen, was die neuen Medien sind, wie man mit ihnen umgeht, was man von ihnen hat und warum niemand an ihnen vorbei gehen kann. Aufgeschlossene Eltern sind nicht nur selbst bereit, sich von ihren Kindern aus der passiven Fernsehwelt in die aktive Multimediawelt befördern zu lassen. Sie schicken die Kids zu den fernen, oft vereinsamten Großeltern, um sie in virtuellen Familientreffen und Oldie-Chat-Groups zu unterweisen.

Was die Jüngsten brauchen, sind gute Geräte und guter Service, leichter Zugang und viel Freiheit zu probieren. Was ihnen ideell wie materiell schaden würde, wären jede Zensur und Gängelung. Was gut oder böse, anständig oder gemein ist, lernen Menschen immer schon durch Vorbilder: in der Internet-Zeit nicht nur durch körperlich, sondern auch durch virtuell anwesende.

Umdenken Oldies! Nicht der Computer und das Internet rauben den Kindern Zeit und Phantasie zum Spielen. Das tat und tut das Medium Fernsehen, das ihr als Babysitter missbraucht. Multimedien stellen vielmehr diese Zeit wieder her und geben der Phantasie neue Räume. Für junge Netizens sind Internet und Computer fun. Bessere Lehrmeister als Spiel und Spaß gab es noch nie.

Die Glotze ist passiv, bestenfalls rezeptiv. Internet und Multimedia fördern und fordern, sind aktiv und kreativ. Sie fördern Lesen, Schreiben, Rechnen, Musik und Kunst. Sie fordern heraus zu analysieren, zu prüfen und Probleme zu lösen. Sie verführen zum Denken, zum Spinnen von Ideen, zu formulieren, zu gestalten, zu komponieren, Rollen zu spielen. Sie bilden. In der neuen Dimension Cyberspace gewinnen Kinder jene Freiräume zurück, die ihnen mit Lernmüll überfrachtete Abläufevon Schulen - unvereinbar mit der Ächtung von Kinderarbeit - gestohlen haben. Im Netz werden Kinder wieder frei für sich selbst und soziale Kontakte: Die grünen Spielplätze früherer Zeiten finden ihre virtuelle Wiederkehr.

Auf diesen Spielplätzen lernen sie auch ganz von selbst, was sie für ihr Leben im Wissens-Zeitalter besonders gut brauchen können: Teamfähigkeit und Fairness. Wer sich an Netiquette, die Verkehrsregeln im Internet, nicht hält, fliegt raus aus den virtuellen Gemeinschaften. Wer der Aufforderung nicht folgt, wird zugemailt. Vor dieser modernen Form des Stubenarrests kapituliert jeder und jede. Denn wer möchte schon sprachlos bleiben.

Kommunikationsrevolution? Die Internet-Generation macht sie einfach, während die Baby-Boom-Generation der Eltern und Großeltern noch darüber diskutiert, ob und wie viel sie davon, von etwas, zulassen will, das sie schlicht nicht versteht.

© Liberales Institut Zürich

Unser Kommentar: Kommunikation dürfte der Knackpunkt der "Generation Net" sein. Welcher Jugendliche (welches Kind?) besitzt heute kein Handy, über das 24*7-Erreichbarkeit garantiert ist, keine eMail-Adresse über die weltweit digitale Post gesendet und empfangen werden kann oder kann sagen dass keine neuen Bekanntschaften durch das Netz geschlossen wurden?

Die jungen Leute von heute nutzen das Internet nicht nur als Informations- und Konsummedium sondern vermehrt als Kommuniktionswerkzeug (email, q, div. instant messengers, chats) und zum Entertainment (MP3, Online-Tourniere in diversen Spielen). Für die meisten dieser Aktivitäten findet sich wenig Toleranz bei den älteren Mitbewohnern des Planeten: warum schreibst du nicht einen Brief, warum schreibst du eine SMS statt dass du anrufst, warum trefft ihr euch nicht anstatt zu chatten? Die Antworten sind vielfältig, aber einfach: weil es bequemer, billiger, einfacher, schneller, flexibler, trendiger ist.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass junge Leute das Netz und seine Technologien am besten auf eigene Faust entdecken sollen. Ein Ratgeber der hilfreich zur Seite steht - ja, aber niemals einen Reiseführer der die Route vorgibt. Daher stelle ich die Verwendung des Internets in der Schule in Frage - in welcher Form soll es verwendet werden? Keinesfalls in der Form "wir gehen auf die Seite ...", sondern zum selbständigen Erarbeiten von Inhalten. Das Internet ist ein Medium, das aktives Agieren und Mittun erfordert - ein Aspekt, der leider oft verkannt wird.

Sich im Internet auskennen, die Technologie verstehen - fast unmöglich. Das Wunderwerk besteht aus so vielen winzigen Rädchen, dass man gar nicht alle kennen, geschweige denn verstehen kann. Aber Autofahren kann man ja auch, ohne gleich perfekter Mechaniker zu sein.

Diese Erkenntnis muss vielleicht einer breiteren Öffentlichkeit bekannt werden, um deren Einstiegs-Hemmschwelle zu überwinden.

Irgendwann, soviel dürfte aber feststehen, wird jeder online sein. Zumindest in den reichen Industrienationen. Dass in 3.-Welt-Staaten das Internet aufgrund teilweise nicht vorhandener Telefonleitungen einfach nicht existiert, ist ja hierzulande eigentlich nicht vorstellbar...

H. Erven/Zentrum Rodaun

 

Literatur zum Thema:

Don Tapscott: Net Kids. Die digitale Generation erobert Wirtschaft und Gesellschaft.Signum, Wien 1998. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

Sherry Turkle: Leben im Netz - Identität in Zeiten des Internet. Rowohlt, Hamburg 1998. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

Die komplette Studie "Arbeits- und Lebensformen in der Zukunft" finden Sie unter http://www.libinst.ch/texte/alz.pdf

Weitere Informationen zu diesem Themenbereich finden Sie in unseren Beiträgen

Erziehung im Cyberzeitalter

Macht das Internet süchtig?

Suchende Screenager im medialen Universum

Internet von Teenagern nicht überbewertet

 


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