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Die Ängste der Kinder

Krieg und Aids sind die "Hits"

 

Die Österreichischen Kinderfreunde haben 1123 Kinder im Alter von 6 bis 15 Jahren in Oberösterreich, Salzburg, der Steiermark und in Wien befragt. 1/3 der befragten Kinder lebt auf dem Land, 2/3 in der Stadt; 77% mit den leiblichen Eltern in einem Haushalt, 23% in anderen Lebensformen (bei der Mutter, teilweise beim Vater und teilweise bei der Mutter oder beim Vater). Zwei Drittel hatten Deutsch als Muttersprache, ein Drittel eine andere Sprache.

Globale Ängste

Früher hatten Kinder Angst um ihre Umwelt. Heute heißen die großen Sorgen Krieg und zu dick oder zu hässlich zu sein. 60 Prozent der kleinen Österreicher gaben an, dass sie sich vor Krieg fürchten. Das Thema beschäftigt die Kleinen in einem sehr großen Ausmaß.

Als ein weiteres großes Problem wird das eigene Aussehen gewertet: Mehr als ein Drittel (38,3 Prozent) bereitet es Sorgen, zu dick zu sein. Während sich bei der Umfrage 7,1 Prozent der Sechs- bis Siebenjährigen zu dick finden, stieg der Wert bis zum 15. Lebensjahr um mehr als das Neunfache (66,7 Prozent) an. Dabei schätzen sich die Mädchen runder als die Buben. Fast jedes zweite Mädchen gab an, abnehmen zu wollen.

Mit seinem Aussehen nicht zufrieden ist fast jedes vierte Kind. Jedes dritte Mädchen und jeder achte Bub erklärte, gerne hübscher sein zu wollen.

44,6 Prozent der Befragten haben Angst vor Krankheiten, insbesondere Aids, wobei die Furcht bei den 13- bis 14-Jährigen am größten ist. Ein wesentliches Thema ist immer noch für 38,3 Prozent die Umweltverschmutzung. Einfluss darauf haben v.a. Medienberichte: "Irgendwann wird man in keinem Meer mehr schwimmen können, weil überall Öl und Schmutz drinnen ist", schrieb etwa ein Kind.

Persönliche Ängste

Ein großes persönliches Problem ist die Schule. 53,4 Prozent fürchten sich vor schlechten Noten. Der Wert steigt mit dem Alter kontinuierlich an. Mit 15 Jahren erreicht die Angst vor einem Nichtgenügend bereits 80 Prozent. Bei einem Gesamtvergleich der Kinder zeigte sich, dass diejenigen mit nichtdeutscher Muttersprache um 20 Prozent mehr Sorgen wegen schlechter Noten hatten als andere. Bedenklich ist das Ergebnis, dass sich nur 13 Prozent der 13- bis
15-jährigen Jugendlichen in der Schule wohl fühlen. Drei Prozent der Kinder haben sogar regelrechte Angst vor ihren Lehrern.

Angst vor AusländerInnen hat im Durchschnitt nur jedes 16. Kind in Österreich (6,2%). Ist diese Angst noch bei 14% der 6 bis 8-jährigen Kinder vorhanden, so sinkt der Anteil mit dem Alter kontinuierlich und beträgt bei den 13-15-Jährigen nur noch bei 0,2%.

Beinahe ein Drittel (32,2 Prozent) der Kids fürchten sich, dass sich ihre Eltern trennen. Am massivsten ist das bei den Neun- bis Zehnjährigen. 56,6 Prozent der Kinder treffen sich in ihrer Freizeit zwar gerne mit ihren Freunden, aber 50,4 Prozent wünschen sich mehr Zeit mit ihren Eltern.

Forderungskatalog

Ausgehend von den Ergebnissen ihrer Befragung stellen die Kinderfreunde Österreich folgenden Forderungskatalog auf:

- "Wir fordern Österreichs PolitikerInnen auf, Positionen für den Frieden einzunehmen und im Sinne unserer Kinder im Rahmen der Neutralität aktive Friedenspolitik zu betreiben!"

- "Wir fordern die Umsetzung des Rechtes von Kindern auf Familienzusammenführung. Laut Innenministerium warten 11.864 Menschen im Ausland auf ihre Familienzusammenführung!"

- "Wir fordern ein ausreichendes Angebot an kostenlosen Deutschkursen."

- "Wir fordern AusländerInnenwahlrecht auf allen Ebenen."

- "Die Österreichischen Kinderfreunde fordern eine umfassende Schulreform, die sich am Beispiel Finnland orientiert."

- "Wir fordern eine umfassende Suchtpräventionspolitik, die schon in der Volksschule beginnt."

- "Die Österreichischen Kinderfreunde fordern kostenlose Mediationsmöglichkeiten für Paare in Trennungssituationen."

Quelle: Kinderfreundestudie

 

Unser Kommentar: Die Welt der Kinder ist heute eine multimediale, wie die Erwachsenen sind auch sie zunehmend
besorgniserregenden Informationen ausgesetzt. Der bevorstehende Krieg gegen den Irak wird von Kindern als reale Bedrohung wahrgenommen, ebenso wie Aids, wobei sich die 13- bis 14-jährigen die meisten Sorgen in Bezug auf Aids machen, da für diese Altersgruppe der Schutz vor Ansteckung ein aktuelles Thema wird.

Die Überschrift der Originalstudie der Kinderfreunde lautet "Kinder an die Macht! - Ängste, Sorgen, Perspektiven der Kinder 2003". Es fehlt in Folge jedoch eine Abgrenzung der Begriffe Ängste und Sorgen, die vermischt werden. Die Befürchtungen der Kinder in Bezug auf Krieg, Aids, Umweltverschmutzung etc., die in dieser Studie als "globale Ängste" bezeichnet werden, spiegeln meiner Ansicht nach sehr verständliche Sorgen und Anliegen der Kinder im Sinne von natürlichen Reaktionen auf reale Gefahren wieder; Signale, dass das Bedürfnis besteht, sich mit der bedrohlichen Thematik auseinanderzusetzen.

Die wirklich gravierenden, belastenden Ängste dürften eher im persönlichen Bereich liegen ­ Ängste, den rigiden gesellschaftlichen Maßstäben von Leistung und Aussehen nicht genügen zu können, sowie existentielle Ängste vor dem Verlust von Sicherheit und Geborgenheit innerhalb der Familie durch eine Trennung der Eltern - angesichts der ständig steigenden Scheidungszahlen wenig verwunderlich.

Global verfügbare und vermarktete Medienangebote und die Rolle der Kinder als kommerzielle Zielgruppe binden sie immer stärker und früher in gesellschaftliche Trends und Entwicklungen ein ­ wie auch die kollektive (vorrangig weibliche) Angst, allgemeinen Schönheitsidealen nicht zu entsprechen, und der daraus resultierende Kampf gegen das eigene Körperbild, die offensichtlich inzwischen auch die Kinder erfasst haben, zeigen. Präventive Maßnahmen sind also schon im Volkschulalter zu setzen, um der gefährlichen Entwicklung hin zu schwerwiegenden Körperschema- und Essstörungen gegenzusteuern.

Das finnische Schulsystem, an dem sich die von den Kinderfreunden geforderte Schulreform orientieren soll, erweist sich in internationalen Vergleichen als besonders erfolgreich - siehe PISA-Studie. Seit einer radikalen Schulreform Mitte der siebziger Jahre gibt es in Finnland eine neunjährige Gesamtschule mit Ganztagsunterricht, es gibt kein "Sitzenbleiben" und keine Noten bis zur siebten Klasse, somit keine verfrühte Segregation der Kinder ­ Chancengleichheit hat besonderes Gewicht, ebenso ein entspanntes Schulklima und individualisierter Unterricht - und nach der neunten Klasse wechseln knapp 60 Prozent in das drei Jahre dauernde Gymnasium.

J. Stöhr/Zentrum Rodaun



Weitere Informationen zu diesem Themenbereich finden Sie in unseren Beiträgen

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