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Musikalische Memoiren

von Simone Georgieva

 

Musik weckt autobiographische Erinnerungen. Eine vertraute Melodie ist wie der Soundtrack zu einem mentalen Film, der vor dem geistigen Auge abläuft, sobald wir ein bekanntes Lied hören, so der Psychologe Petr Janata. Der Wissenschaftler untersuchte jene Gehirnstrukturen, die den „musikalischen Erinnerungen“ zugrundeliegen. Die Studie wurde kürzlich im Journal „Cerebral Cortex“ veröffentlicht

 

Beim Hören bestimmter Lieder kommt man ins Schwelgen, denn Musik ruft Erinnerungen an bestimmte Erlebnisse, Lebensabschnitte, oder Menschen wach. Warum Musik autobiographische Erinnerungen zu wecken vermag, fragten sich Forscher der University of California. Der Psychologe Petr Janata untersuchte mittels funktioneller Magnetresonanztomographie welche Gehirnstrukturen für die musikevozierten Erinnerungen verantwortlich sind.

Hörproben

Elf weibliche und zwei männliche Studenten von der University of California, im Alter von 18 bis 22 Jahren stellten sich für die Untersuchung zur Verfügung. Während  ihre Gehirnaktivität via funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRI) erfasst wurde, hörten die Studenten über Kopfhörer 30 Sekunden dauernde Liederproben. Die dargebotenen Songs waren ein Exzerpt aus den Top 100 der Pop und R&B Songs jener Jahre, in denen die Studenten zwischen 7 und 19 Jahre alt  gewesen waren. Dies erhöhte die Wahrscheinlichkeit für den Bekanntheitsgrad der Lieder und dafür die Songs mit persönlichen Erinnerungen in Verbindung zu bringen. Es wurden zwei Durchgänge mit jeweils 15 Liederproben durchgeführt. Die Aufgabe der Studenten war es nun Fragen zu den Sequenzen zu beantworten. Hierzu hatten sie innerhalb des Tomographen eine kleine Tastatur mit 5 Antwortknöpfen zur Verfügung. Nach jeder Vorgabe wurden die Probanden nach dem Bekanntheitsgrad des Songs gefragt, wie sehr er ihnen gefallen hatte (von 1-gar nicht bis 5- sehr gut), ob er emotional bewegend war und ob sie das Lied mit irgendeinem speziellen Erlebnis oder einer besonderen Erinnerung verknüpfen konnten (ja-nein). Die Studenten benötigten im Schnitt weniger als eine Minute um die Fragen zu beantworten. Nach den Durchgängen im Tomographen ergänzte man die Erhebungen noch durch Fragebögen, die von den Probanden auszufüllen waren. Wieder wurden Lieder via Kopfhörer dargeboten und die Studenten sollten angeben, ob sie den Song im Scanner bereits gehört hatten. Bei den relevanten Liedern waren genauere Fragen über die autobiographischen Erinnerungen zu beantworten, über den Inhalt (Lebensabschnitt, Leute, Orte, Ereignisse) und die Lebhaftigkeit der Erinnerung und der Emotionen, die vertraute Melodien hervorgerufen hatten.

Musikalische Schnittstelle

Von den 30 Liedern erkannten die Studenten durchschnittlich 17 Songs und ebenso viele gefielen den Probanden ein wenig bis sehr gut. 13 der 30 Melodien weckten bei den Versuchsteilnehmern autobiographische Erinnerungen.  Eine Reaktion, ob Musik gehört wurde oder nicht, war bei den fMRI-Aufnahmen im auditorischen Cortex (Hörrinde) zu beobachten. Der Bereich des Gehirns, der für Erinnerungen, die durch Musik hervorgerufen werden entscheidend war, war der mediale präfrontale Kortex. Diese Region liegt im vorderen Teil des Gehirns. Je stärker ein Song mit autobiographischen Erlebnissen verbunden war, umso stärker und lebhafter war die Aktivität des entsprechenden Bereiches. Aus vorhergehenden Untersuchungen weiß man, dass ein Teil des medialen präfrontalen Cortex eine entscheidende Rolle beim Verfolgen von Melodien spielt. Die fMRI-Aufzeichnungen zeigten, dass derselbe Bereich Musik mit autobiographischen Erinnerungen und Gefühlen verbindet. Janata sagt: „Was cool ist, ist die Tatsache, dass einer der Hauptbereiche des Gehirns, der für das Verfolgen von Melodien wichtig ist, der selbe Teil ist, der die autobiographische Bedeutsamkeit von Musik bewertet.“  „Der mediale präfrontale Kortex scheint die Schnittstelle zwischen autobiographischem Gedächtnis, Musik und Emotionen zu sein.“

Therapeutischer Nutzen

Alzheimer-Patienten reagieren erstaunlich intensiv auf Musik, auch dann wenn ihr Erinnerungsvermögen bereits stark beeinträchtigt ist. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass mediale präfrontale Gehirnstrukturen auch im Spätstadium der Erkrankung noch relativ wenig betroffen sind. Selbst Patienten mit stark ausgeprägter Demenz, die kaum noch sprechen können, singen Liedertexte mit. Musik ist dementsprechend als wirksames  therapeutisches Mittel bei der Alzheimer-Erkrankung zu sehen. Janata spricht in diesem Zusammenhang von maßgeschneiderten MP3-Playlists als Teil der Behandlung  von Alzheimer-Patienten, im Sinne einer höheren Lebensqualität für Betroffene.

Quelle: Cerebral Cortex, orfscience, news.ucdavis 

 

Unser Kommentar: Die Ausführungen von Janata zu den durch Musik ausgelösten autobiografischen Erinnerungen beschreiben interessante Details zu den bisherigen Kenntnissen in Bezug auf die Lokalisation in diesem Prozess entscheidender Hirnareale. Die darlegten fMRI-Untersuchungen untermauern die Annahme, daß  der mediale präfrontale Kortex jenes Hirnareal ist, wo Erinnerungen durch Musik hervorgerufen werden. Ein Areal also, das nicht dem primären und sekundären Hörzentrum entspricht. Dass Musik emotionalisierend ist und auch Affektbrücken bewirkt, ist ein allbekanntes Wissensgut, das jedermann nachvollziehbar ist, der sich, in welcher Form auch immer, mit Musik auseinandersetzt. Jeder Besucher von musikalischen Veranstaltungen kennt die durch das Hören von Musik ausgelöste emotionale Bewegtheit und das Verbinden bestimmter Musikstücke mit den verschiedensten Erinnerungen. Musik ist in der gesamten Menschheitsgeschichte, quer durch die Jahrhunderte und quer durch alle Kulturen, als Therapeutikum zu finden, schon in der Antike war die therapeutische Wirkung von Musik  bekannt. Das wohl berühmteste Beispiel ist wohl König Saul, der durch das Harfenspiel von David besänftigt wurde, wie wir im Alten Testament nachlesen können.

 Die im Artikel anfänglich gestellte Frage, warum autobiografische Erinnerungen durch Musik wach gerufen werden, wird durch dargestellte Datenlage jedoch nicht beantwortet. Die im Artikel dargestellten Daten wurden mit einer experimentellen Gruppe von 13 Personen ohne Kontrollgruppe gewonnen.

Ich kann den Enthusiasmus über die vorliegenden Daten nachvollziehen, würde aber vorsichtiger mit der Aussage bezüglich der Bewertung der autobiografischen Bedeutsamkeit von Musik sein. Meiner Meinung können wir durch die fMRI Befunde lediglich sagen, dass der präfrontale mediale Kortex beim Wachrufen von Erinnerungen durch Musik aktiviert wird. Die Versuchanordnung gibt Raum für Fehlerquellen in Bezug auf die Bewertung dieser Erinnerungen durch die Probanden.

 Der erwähnte therapeutische Nutzen von Musikhören bei Alzheimer-Patienten wird in der klinischen Praxis schon lange eingesetzt, u.a. auch im Rahmen von Musiktherapie. Die Verknüpfung der Erkenntnis, dass bei Alzheimer-Patienten der mediale präfrontale Kortex auch im Spätstadium der Erkrankung noch relativ wenig betroffen ist, und damit Patienten mit stark ausgeprägter Demenz, die kaum noch sprechen können, Liedertexte mitsingen können, ist ein weiteres interessantes Detail. Die von Janata vorgeschlagenen maßgeschneiderten MP3-Playlists als Teil der Behandlung  von Alzheimer-Patienten, im Sinne einer höheren Lebensqualität für Betroffene, ist sicherlich für Musiktherapeuten und milieutherapeutische Ansätze eine interessante Anregung. Dazu gilt es aber zu bemerken, dass das Musikhören immer unter der Evaluation eines Therapeuten erfolgen sollte, der abwägt, ob das Hören von Musik für den Patienten zu diesem Zeitpunkt eine Lebensqualitätsverbesserung darstellt. Weiters gilt es in diesem Zusammenhang zu betonen, dass Alzheimer-Patienten zwar Liedtexte in der beschriebenen therapeutischen Situation singen, aber ein Transfer dieser Fähigkeit in den Alltag gelingt leider nicht.

Mag. Richard Matuszak, Klinischer Psychologe in Wien





Literaturtipps:

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Manfred Spitzer: Musik im Kopf: Hören, Musizieren, Verstehen und Erleben im neuronalen Netzwerk. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

Robert Jourdain, Markus Numberger: Das wohltemperierte Gehirn: Wie Musik im Kopf entsteht und wirkt.. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

Franz Josef Wetz: Die Magie der Musik: Warum uns Töne trösten. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!



 


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