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Stärken und Schwächen bereits in der Kindheit erkennbar

von Birgit Oberwalder

 

Ab wann beginnt sich die Persönlichkeit eines Menschen zu formen? Entspricht das Verhalten eines Kindes dem seines zukünftigen Verhaltens im Erwachsenenalter? Wird aus dem kleinen gesprächigen Mädchen später die Talkqueen des Hauptabendprogramms? Die LOGIK-Studie, die bereits 1984 begann, eröffnet nun neue Erkenntnisse über die Entwicklung von individuellen Kompetenzen vom Vorschulalter bis ins führe Erwachsenenalter.

 

Die Studie "Longitudinalstudie zur Genese individueller Kompetenzen" (LOGIK) wurde 1984 vom damaligen Max-Planck-Institut für psychologische Forschung in München gestartet. Hierbei handelt es sich um eine sogenannte Längsschnittstudie. Das bedeutet, dass eine ausgewählte Anzahl an Personen ­ in diesem Fall 210 Kinder im Alter von drei bzw. vier Jahren, die gerade in den Kindergarten aufgenommen worden waren ­ über einen langen Zeitraum (von 1984 bis 2005) beobachtet, getestet und untersucht werden.

Ergebnisse: Intelligenz

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Intelligenz anscheinend schon ab einem recht frühen Zeitpunkt relativ stabil ist. Der IQ- Wert, der im Alter von vier Jahren ermittelt wird, dient als gute Vorhersage für den IQ Wert im Alter von sechs Jahren. Diese wiederum lassen einen durchaus brauchbaren Blick auf die spätere Intelligenz zu. Allgemein nimmt die absolute Intelligenz ­ die Anzahl der in einem IQ-Test richtig beantworteten Aufgaben- bis ins Jugendalter zu. Das gilt für die sprachliche Intelligenz als auch für die nichtsprachliche Intelligenz. Die nichtsprachliche steigert sich noch weiter, bis ins frühe Erwachsenenalter. Wie sich die sprachliche Intelligenz entwickelt, hängt unter anderem auch vom besuchten Schultyp ab. Gymnasiasten haben einen günstigeren Entwicklungsverlauf als Hauptschüler. Dieser Unterschied betrifft aber nicht die nicht-sprachliche Intelligenz.

Was die Lern- und Gedächtnisfähigkeit der Heranwachsenden betrifft, zeichnete sich in der Reproduktionsfähigkeit eine überraschende Stabilität ab. Frühzeitige individuelle Unterschiede in der Güte der Reproduktion bleiben vergleichsweise stabil. Das bedeutet, dass Kinder, die sich bereits in jungen Jahren an Texte und Geschichten besser erinnern können als andere, diesen Vorsprung auch im jungen Erwachsenenalter behalten.

Ergebnisse: Moralische Motivation

Weiters interessant sind die Ergebnisse aus der Entwicklung von moralischer Motivation. Vier- sechs- und achtjährigen Kindern wurden Bildgeschichten vorgelegt, in denen die Hauptfigur einfache moralische Regeln übertritt (z. B: Süßes stehlen). Danach wurden die Kinder befragt. 98% der Vierjährigen gaben an, dass man Süßes nicht stehlen darf - dies sei böse. Daraus kann man schließen, dass Kinder schon früh moralische Regeln erkennen und verstehen.

Wissen und Verstehen bedeutet aber noch lange nicht, dass auch danach gehandelt wird. Mit der moralischen Motivation schaut es wieder anders aus. Die Bereitschaft, das Richtige zu tun, auch (oder vor allem) wenn es der eigenen Person Nachteile bringt, hängt nicht unbedingt mit dem Wissen darüber zusammen. So antworteten 80 % der Kinder auf die Frage, wie sich denn der Dieb nach der Tat fühle, dass sich dieser gut fühle, weil immerhin habe er jetzt ja die Süßigkeit. Es zeigte sich aber auch, dass die moralische Motivation bis hin zu 22 Jahren stetig ansteigt. Allerdings bleibt sie meist nicht stabil. Personen ändern sich bis ins frühe Erwachsenenalter. Immerhin stufen 20% der 22jährigen Moral als wenig bedeutsam ein.
Auch das Geschlecht spielt eine Rolle. Ab einem Alter von acht Jahren bilden sich Differenzen zwischen Mädchen und Jungen heraus, die sich im Verlauf des Heranwachsens noch weiter verstärken. Einen Grund dafür sieht Prof. Nummer-Winkler in der Geschlechtstereotypisierung. Das heißt, Männer weisen eher moralabträgliche Eigenschaften auf ­ z. B. "Durchsetzungsfähigkeit ­ und Frauen weisen eher moralförderliche Merkmale wie "Hilfsbereitschaft" auf. Wie stark nun die geschlechtsspezifische Motivation ausgeprägt ist, hängt davon ab, wie stark sich die Person mit der eigenen Rolle identifiziert. So meint die Professorin: "Bei hoher Geschlechtsidentifikation haben Jungen eine niedrigere, Mädchen eine höhere moralische Motivation."

Ergebnisse: Aggression

Auch die Neigung zur Aggression in späteren Jahren lässt sich relativ gut vorhersagen. Kinder, die im Alter von drei Jahren bereits auffällig aggressiv sind, bleiben auch überdurchschnittlich aggressiv und die Wahrscheinlichkeit, dass sie im jungen Erwachsenenalter Probleme mit der Polizei haben, ist groß. Auch sind Kinder mit erhöhtem aggressivem Verhalten später schlechter ausgebildet und erreichen selten den Abschluss, obwohl sie durchaus intelligent genug dafür wären. Ihre Strafanfälligkeit zwischen 18 und 23 Jahren ist zwölf mal höher als bei wenig aggressiven Kindern. Dies kommt auch dadurch zustande, dass aggressive Straftäter auffälliger sind und dadurch leichter in die Mühlen der Justiz geraten, als "unauffälligere" Straftäter. Zusammenfassend ist festzustellen, dass Kinder, die bereits im Kindergarten durch ihre Aggressivität auffallen, ein hohes Risiko haben, auch im Erwachsenenalter aggressiv, kriminell und unter ihrem wahren Können ausgebildet zu sein.

Quelle: MedAustria

 

 

Unser Kommentar: A. Huxley zeichnete eine "schöne neue Welt" und erkannte schon 1932 das Streben der Gesellschaft nach Kategorisierung. Alpha­ und Delta­ Menschen im 21. Jahrhundert, aktuell wie nie. Wie einfach doch alles wäre, könnte man schon im Kindergarten die Kinder in die einzelnen Schubladen stecken ­ die kluge Laura in die Professor- Schublade, den geschickten Max in die Bauarbeiter-Schublade und den einfühlsamen Jakob in die Altenpfleger-Schublade ­ ja, das wäre einfach. Aber was macht man mit dem aggressiven Daniel? Der gehört in die Kriminellenschublade oder doch lieber gleich ins Gefängnis, weil der wird eh ein Straftäter! Aber so einfach ist es nicht. Die Wissenschaft geht davon aus, dass der Mensch von zwei Faktoren geformt wird: Anlage und Umwelt. Ein Teil ist den Genen und der andere ist dem Einfluss der Umwelt zuzuschreiben (soziales Umfeld, Kultur, persönliche Erfahrungen, geografische Lage, etc.) Die "Vorprogrammierung" durch gewisse Gene ist natürlich nicht endgültig. Die Suche nach einem expliziten "Verbrecher-Gen" oder einem "Wohltätigkeits-Gen" ist bis dato noch erfolglos. Viele Faktoren formen die Entwicklung eines Kindes. So ist es wenig überraschend, dass ein Kind, das in schwierige Verhältnisse hineingeboren wurde, nicht zur Elite der Vorzeigekinder gehören kann ­ sowohl im Alter von vier als auch von sechs Jahren. Ein Kind, dessen Eltern weder lesen noch sonst irgendeine sinnvolle Geistestätigkeit ausüben und deren einzige Freizeitbeschäftigung das Fernsehen ist, wird kaum den IQ eines Kindes erreichen, das in einer Welt voller Bücher und kreativer Anregungen aufwächst. Ein Kind, dessen Eltern sich kaum Zeit für es nehmen und nie ein Ohr für die Probleme ihres Sprösslings haben, wird wohl verhaltensauffälliger sein, als ein Kind das in einer Familie aufwächst, die ihm Geborgenheit und ein sicheres Nest bietet. Vorhersage ist gut und sinnvoll - nicht um zu kategorisieren und "abzustempeln" sondern um rechtzeitig zu reagieren. Heute gibt es viele Möglichkeiten bei Intelligenzschwäche und Verhaltensauffälligkeiten zu intervenieren. Und was die Moralmotivation betrifft, kann ich nur auf das wirksame Mittel des Vorbildes verweisen, weil Kinder großteils durch Imitation lernen!

Birgit Oberwalder/Zentrum Rodaun

 

 

Literaturtipps:

Cornelia Nitsch und Gerald Hüther: Kinder gezielt fördern. So entwickeln sich Kinder spielend. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

Armin Krenz: Was Kinder brauchen. Aktive Entwicklungsbegleitung im Kindergarten. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

Anita Glunz: Moralische Entwicklung und Erziehung in der Schule - Weiterführende Ideen zu Lawrence Kohlbergs Ansatz. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

 

Weitere Informationen zu diesem Themenbereich finden Sie in unseren Beiträgen

Frühgeburten: Psychosoziale Risikogruppe?

"Lästige Kinder" - Hinter Aggressivität steckt meist ein Hilferuf

 

 


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