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Mama, Papa und Spiderman ­ wer erzieht unsere Kinder?

von Birgit Oberwalder

 

Die Erziehung der Kinder ist nicht nur ausschließlich den Eltern vorbehalten. Medien und Werbung haben längst erkannt, welches Potenzial in den jungen Kunden steckt. Mit der richtigen Erziehung werden treue und kauffreudige Kunden für die Zukunft gewonnen. Die entscheidende Frage, die sich der Markt stellen muss ist einfach: "Worauf fahren die jungen Konsumenten ab?"

 

Hierbei bedient man sich eines scheinbar einfachen Tricks. Es muss gelingen, in den jungen Menschen den Wunsch nach "Etwas" in ein Bedürfnis zu verwandeln. Dabei wird der Eindruck vermittelt, dass verschiedenste Produkte dazu "verhelfen", was in diesem Alter so wichtig ist: Anerkennung und Respekt in der sogenannten Peer-Group, der Gruppe an Freunden und Bekannten, die sie umgibt und deren Meinung wichtig für einen Heranwachsenden ist.

Das verhält sich folgendermassen: Ein Kind möchte einer Gruppe/ Clique angehören. Um Anschluss zu finden, werden Medienmarken aus dem Besitz vorgewiesen, die den Status des Bewerbers anzeigen sollen. Erreicht der Bewerber den erhofften Eindruck in der Gruppe, so wird er aufgenommen. Wobei man nicht vergessen darf, dass die "Eintrittskarte" nicht genügt, um in der Clique zu bleiben. Regelmäßige "Updates" klären den Status des Mitglieds in der Gruppe. Bei diesen Eintrittskarten "Medienmarke" handelt es sich um Medienangebote, die von den Produzenten mit einzigartigen speziellen Markenzeichen ausgestattet sind und diese auch entsprechend in der Peer-Group anerkannt werden.

In der Studie "Kinder als Konstrukteure ihrer Alltagsbeziehungen ­ zur Rolle von Medienmarken in Kinder-Peer-Groups" der Kommunikationswissenschafterin Ingrid Paus-Hasebrink ging es um die Frage, welche Medienfiguren bei den Kindern am beliebtesten sind und welche Figuren (mit deren Merchandising-Produkten) für den entsprechenden Status in einer Gruppe sorgen. Das heißt, es ist nicht nur wichtig über z.Bsp. Spiderman informiert zu sein, sondern auch entsprechende Merchandising-Produkte zu besitzen (Spiderman-T-shirt, Aufkleber, Games,?). In dieser Studie wird deutlich, dass zwar eine große Bandbreite an Medienangeboten genutzt wird, aber es schafft bei weitem nicht jedes Produkt, den Status einer "Kinder-Medienmarke", also einer Eintrittskarte zu erreichen.

Erziehung aus der Flimmerkiste

Eine entscheidende Rolle bei der Erziehung (auch wenn dies nicht gern gehört wird) spielen die Medien insofern, als dass Medienmarken und Medienfiguren - wie eben Spiderman, Pokémon oder Harry Potter ­ starken Einfluss auf die jungen Konsumenten haben. Dies wird durch die sogenannte crossmediale Konzipierung unterstützt, was nichts anderes bedeutet, als dass Harry Potter auf der Kakaoschale abgedruckt ist und nicht nur im Buch, der Herr der Ringe auf der Playstation gespielt wird und nicht nur im Kino und die Pokémonkarten zum Tauschen genauso in die Schultasche gehören, wie das Federpennal (ganz abgesehen von Bill Kaulitz auf dem Polster und nicht nur im Ohr). Diese vielfache Präsenz der verehrten Medienfiguren in verschiedensten Bereichen des Marktes garantiert hohe Kaufquoten.

Die erwähnte Studie überprüfte nun den Einfluss der Medienmarken und befragte knapp 600 sechs- bis 13-jährige Kinder in Deutschland. Dabei stellte sich heraus, dass nur etwa die Hälfte der Mädchen und Buben eine Lieblingsfigur aus den Medien hat. Umso älter die Kinder waren, desto seltener gaben sie eine Figur an. Von den 300 Kindern, die eine Lieblingsfigur nannten, zählten 106 verschiedene Figuren auf, wobei Harry Potter mit 36 Nennungen eindeutig hervorsticht. Mehrfachnennungen hatten auch Barbie, Diddl und Comicfiguren wie Spiderman.

Weiters zeigte sich ein Geschlechtsunterschied. Mädchen bevorzugen Puppen wie Barbie oder Diddl. Buben wiederum gefällt besonders Bart Simpson aus der amerikanischen Trickserie "Die Simpsons". Unterschiede zeigten sich auch beim Alter. Jüngere Buben mögen gerne Zeichentrickfiguren wie Spiderman, und Bob der Baumeister. Ältere Mädchen mögen Sabrina, die Hexe aus der TV-Serie "Sabrina, total verhext". Harry Potter hingegen wurde von Mädchen und Buben gleichermaßen genannt.

Die Kinder gaben weiters an, dass das Fernsehen die wichtigste Quelle für ihre Lieblingsfiguren sei. Dahinter folgen Freunde und Mitschüler. Apropos Fernsehen: Mädchen mögen im Bezug auf TV-Sendungen am liebsten Soap-Operas und Musiksendungen wie Starmania. Buben hingegen stehen auf "Die Simpsons" und Fußballsendungen. Was die Medien besonders freuen wird, ist die Tatsache, dass Kinder treue Konsumenten sind. Das heißt, drei Viertel gaben an, dass sie ihre Lieblingssendung schon lange Zeit verfolgen.

In drei Phasen vom Dealer zum Chef

Die erste Phase, der sogenannten "Weltaneignungs-Phase", tauschen und sammeln die Sechs- und Siebenjährigen (vor allem Buben) ihre Merchandising-Produkte verschiedener Medienmarken. Karten und Sticker verschiedener Idole sind nichts anders als soziale Währung. Sie helfen dem Besitzer, Kontakte zu Gleichaltrigen zu knüpfen und zu pflegen.

In der zweiten Phase geht es darum, den Status in der Gruppe klarzustellen. Die etwa Acht- bis Elfjährigen versuchen, die ihnen liebste Position in der Bezugsgruppe zu erlangen. Sie identifizieren sich stark mit ihren Favoriten, gleichzeitig lehnen sie andere Medienmarken stark ab. Für Buben werden Actionhelden (Dragonball, ...) immer wichtiger. Mädchen hingegen interessieren sich immer stärker für Real-TV-Vorbilder.

In der dritten Phase geht es darum "aufzusteigen", quasi vom Lehrling zum eigenen Boss. Die Entwicklung des persönlichen Stils beginnt mit etwa zwölf Jahren, dem Übergang in die Jugend. Die Heranwachsenden wenden sich ab von "nicht-realen" Zeichentrick-animierten Erfindungen aus der Hand eines Unbekannten und interessieren sich immer stärker für reale Personen aus dem öffentlichen Leben, wie Pop oder Sport. Wer jetzt noch sammelt, ist out.

Gutes Rezept, aber heikle Kundschaft

Die Theorie ist also einfach. Auf den Markt kommen Produkte, die Kinder und Jugendliche kaufen müssen (=Bedürfnis!) und die treuen Kunden konsumieren zur Freude der Verkäufer. Aber so simpel die Theorie, so ernüchternd ist die Praxis. Ein Punkt in dieser Anleitung zur richtigen Erziehung des Nachwuchses ist entscheidend. Nicht alles, was angeboten wird, ist auch von Interesse für die Kinder. Was produziert wird, ist nicht automatisch "in". Eine wichtige Rolle spielt hierbei der Zweck für den jungen Konsumenten. Medienmarken müssen 1) als relevant für die eigene Identitätsbildung anerkannt werden und 2) auch zur Positionierung innerhalb der Gruppe taugen (siehe "die 3 Phasen").

Im Endeffekt ist das Produkt der sozialen Währung nicht einmal das Ausschlaggebende für die erfolgreiche Bewährung in der Gruppe. Letztendlich zählt das richtige Auftreten. Die "dominierende Lesart", also wie in der Gruppe mit den Medienmarken umgegangen wird, muss erkannt und angewendet werden. Wer diesen Code entschlüsselt, findet Einlass in die Clique. Das alleinige Vorweisen von Merchandising-Produkten oder das Wissen um ausgewählte Medienfiguren reicht nicht aus.

Quelle: ORF, Ingrid Paus-Hasebrink (SWS Rundschau)

 

 

Unser Kommentar: Szene aus dem Alltag: Der Bus ist voller Schüler (Acht- bis Zehnjährige). Gerangel und Gelächter, wie das eben so ist in einem Schulbus. Aber bei genauerem Hinsehen erkennt man eine Hauptformation. Vielleicht vier oder fünf Kinder, die das "Kommando" haben. Sie sind die Lautesten und Stärksten. Sie dürfen sich den Platz aussuchen, auf ihren Schultaschen sind die neusten Comichelden und ihre Turnschuhe entsprechen dem letzten Schrei. Die meisten der anderen Kinder scharen sich um sie und kämpfen um ihre Gunst (da wird schon mal ein Pausenbrot verschenkt oder ein neues Handy hergeborgt). Und da ist dieser Junge. Ordentlich angezogen und sauber gewaschen, aber die Schultasche ist "schon" 2 Jahre alt und seine Fussball-Tauschkarten zerknittert und sowieso voll "out". Er kennt nicht einmal die neuen Folgen von Pokemon und überhaupt, wer hat denn heute noch ein Handy mit Wertkarte? Damit kann man ja nicht einmal MMS verschicken. Die anderen hänseln ihn und fuchteln mit ihren Merchandising-Produkten vor seiner Nase herum. Nun, wie geht die Geschichte aus? Besser als Sie denken. Der Junge bleibt völlig unbeeindruckt (zumindest nach außen). Er macht den anderen "Wichtigtuern" klar, dass er diese Sachen nicht braucht. Er hat seine Bücher die er gerne liest, und Filme die er schaut, aber eine neue Schultasche braucht er nicht. Selbstbewusst dreht er sich um und nimmt somit den Angebern den Wind aus den Segeln.

Wir sind nicht Sklaven des Marktes. Es werden zwar vielerlei Tricks angewandt um uns zu verlocken, aber letztendlich liegt es bei jedem selbst, was konsumiert wird und was nicht. Zugegebenrmassen fällt das Kindern und Jugendlichen, für die ja die Zugehörigkeit "zur Gruppe" besonders wichtig ist, schwerer. Diese Entscheidungsfreiheit und das Selbstbewusstsein, sich über die Qualität - die Einzigartigkeit - des eigenen Charakters zu definieren und nicht über den neuesten Modeschnickschnack sollte auch den Kindern beigebracht werden - hier sind natürlich die realen ErzieherInnen gefragt. Und glauben Sie mir, letztendlich scharen sich die Peer-Group-Anwerber um diesen Jungen, weil sie sich mit dieser Lebenseinstellung besser identifizieren können und ihn vielleicht sogar insgeheim bewundern ­ hoffen wir zumindest.

Birgit Oberwalder/Zentrum Rodaun

 

Links:

Ingrid Paus-Hasebrink :"Kinder als Konstrukteure ihrer Alltagsbeziehungen - zur Rolle von 'Medienmarken' in Kinder-Peer-Groups" SWS-Rundschau (Heft 1/2007). http://www.sws-rundschau.at/html/abstract.php?language=de&id=157

Lukas Wieselberg: Wie Kinder mit Medienmarken umgehen. http://science.orf.at/science/news/147794

 

Literaturtipps:

Stephanie Müller: Werbung für Kinder. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

Axel Dammler: Kinder können kaufen lernen. Ein Elternbuch. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

Hauke Wagner: Möglichkeiten der Werbespots im Fernsehen und im Internet. Wie Ihr Kind durch Fernsehen und Fernsehwerbung beeinflusst wird. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!


Weitere Informationen zu diesem Themenbereich finden Sie in unseren Beiträgen

Pokémons: Wenn Kinder über sie reden, reden sie auch über sich selbst

Drohen mit und hoffen auf Schule

 

 


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