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Aktuelle Aktienkurse am Wertemarkt der Jugendlichen

von Birgit Oberwalder

 

Welche Werte hoch und welche niedrig im Kurs stehen ermittelte die aktuelle Jugend-Wertestudie vom Institut für Jugendforschung und dem Institut für praktische Theologie. Dabei wurden 1231 Jugendliche zwischen 14 und 24 Jahren zu ihrer persönlichen Einstellung über verschiedenste Themen wie Religion, Beruf, Politik oder Gleichberechtigung befragt. Da die jungen Menschen als Spiegelbild der Gesellschaft gelten, beinhaltet das eine oder andere Ergebnis doch so manche Überraschung.

 

Gendermainstreaming ist keine neue Extremsportart, sondern bedeutet die Verwirklichung der Gleichstellung von Mann und Frau unter Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Lebensbedingungen und Interessen. Laut der Einstellung der befragten Jugendlichen scheint dies wohl noch auf längere Zeit lediglich eine von vielen Definition aus dem Duden zu sein. Besonders die jungen Männer leben ein traditionelles Rollenbild. So denken über 50% der männlichen Jugendlichen, dass "Erfolg im Beruf für einen Mann wichtiger ist als für eine Frau" und "das weibliche Geschlecht sei für andere Aufgaben bestimmt". Außerdem, so meinen ebenfalls 50% der männlichen Befragten, "braucht eine Frau einen starken Mann an ihrer Seite" (weibliche Befragte stimmten dieser Aussage mit 36% zu). Drei Viertel der Frauen denken, dass es "für Männer schwierig ist, wenn die Partnerin und Ehefrau erfolgreicher ist". Wenn es um Gleichberechtigung geht, liegen die Frauen vor ihren männlichen Altersgenossen. So sind 87% der befragten Frauen davon überzeugt, dass "Frauen und Männer die gleiche Durchsetzungskraft haben" und sich ebenso "die Aufgaben wie Kindererziehung und Haushalt teilen sollten" (dem stimmen nur 71% der jungen Männer zu).

Besonders stark zeigt sich der Unterschied bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Nur 35% der jungen Muslimen haben ein egalitäres Rollenbild. Musliminnen sind hier ihren männlichen Altersgenossen weit voraus und konzentrieren sich stärker auf Selbständigkeit und Gleichberechtigung (59%). Der Grund für diese Kluft zwischen jungen Männern und Frauen sieht Ingrid Kromer, Mitautorin der Studie, in der Furcht der jungen Männer um ihre Vorrechte. "Solange Geschlechtergerechtigkeit nicht im gesellschaftlichen Mainstream verankert ist, sehen Burschen wenig Anreiz, ihre Männerrolle zu hinterfragen oder zu verändern" , so Kromer, "dazu kommt eine mangelnde gesellschaftliche Bewertung reproduktiver Tätigkeiten, die junge Männer abhält, sich für Familie und Haushalt verstärkt einzusetzen". Während sich Männer auf Macht und Karriere konzentrieren, grenzen sie sich gleichzeitig von der Familienarbeit ab. In der Erziehung wird dieses Bild insofern gestützt, so Katharina Miko vom Genderforschungsinstitut der Universität Wien, dass noch immer viel mehr Mädchen bei der Hausarbeit eingespannt werden als Burschen. "Und dass die Zahl der Kinder, die Frauen sich wünschen, höher ist, als die Zahl der Kinder, die tatsächlich zur Welt gebracht werden, liegt an strukturellen Faktoren", so Miko. Kind und Karriere ist nicht leicht unter einen Hut zu bringen.

Was die angestrebten Berufe der Jugendlichen betrifft, so führt der oft geringe gesellschaftliche Status frauentypischer Berufe (wie Sozialarbeit), die zudem eine oft niedrige Entlohnung mit sich bringen, dazu, dass Männer, die "Frauenberufe" ergreifen möchten, die Benachteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt indirekt zu spüren bekommen ­ was sie letztlich auch an der Ergreifung solcher Berufe hindert. Zudem, so die Autoren der Studie, müssen Männer, die einen typisch weiblichen Beruf ergreifen, ihre Männlichkeit preis geben.

Be(tt)ziehung und Lebensgestaltung

"Ich möchte eine/n fixe/n Partner/in, Kinder möchte ich aber erst später" Dieser Aussage stimmen 35% der Jugendlichen zu. Gleich dahinter mit 33% folgt die Einstellung, dass erst einmal die Jugend erlebt werden möchte und eine feste Bindung erst später langfristig sein soll. Dem entgegen möchten sich 3% ihr ganzes Leben lang nie fix binden. Regina Polak vom Institut für Praktische Theologie betont, dass es gerade für Kinder aus zerrütteten Familien wichtig sei, ein glückliches, traditionelles Familienleben anzustreben. "Sich auf den anderen verlassen zu können" rangiert gleich nach "gemeinsam Zeit miteinander verbringen" (bei jungen Frauen 74%, jungen Männern 64% bzw 66%). Die Treue ist für Frauen mit 70% "sehr wichtig" (Männer 63%), jedoch am absteigenden Ast. So galt Treue in einer Studie aus dem Jahr 2000 bei 85% der Jugendlichen noch als "sehr wichtig". Ein weiterer Faktor für eine glückliche Beziehung ist "miteinander zu schlafen" (42%), wobei "guter Sex" nur für 41% der Frauen aber 50% der Männer wichtig ist. Auch das Geld spielt eine wichtige Rolle: war dies 1990 für 21% der Befragten der Fall, ist Geld heute bereits für 41% der jungen Menschen "sehr wichtig".

Wie wichtig den Jugendlichen der soziale Nahraum ist, zeigt die Zustimmung von fast 70%, dass Familie und Freunde "sehr wichtig" sind. Der Kinderwunsch ist ebenso durchaus vorhanden, allerdings wird diese Erfüllung für später aufgehoben. Lediglich 9% möchten möglichst bald eine eigene Familie mit Kindern gründen. Überhaupt keine Kinder möchten lediglich 7% (Partner vorhanden) und nur 1% möchte keine fixe Bindung, können sich aber trotzdem ein Leben mit Kindern vorstellen.

Arbeit, Politik und Religion

Geht es um das Thema Arbeit, so ist für 72% eine "gute Bezahlung" Priorität. "Etwas sinnvolles für die Allgemeinheit zu tun" ist für 27% der Jugendlichen wichtig. Die Sicherheit des Arbeitsplatzes spielt ebenso eine wichtige Rolle, wie auch genügend Zeit für Hobbys, Freunde und Familie. Die Balance zwischen Selbstverwirklichung und Familie, Karriere und Freizeit fordert die Jugendlichen sehr, was sich in diversen Stress ­Studien bereits abzeichnet. Der Arbeitsmarkt verlangt nach schneller Ausbildung, breitem Wissensspektrum bei gleichzeitiger Auslandserfahrung und hohe Flexibilität. "Einen Beruf mit Verantwortung" wünschten sich 1990 noch 48%, heute sind es nur noch 34%. Verändert hat sich auch der Wunsch nach einem Beruf, "der den eigenen Fähigkeiten entspricht". Wollten dies 1990 noch 66% sind es heute lediglich 54% der Jugendlichen. Was heute schwieriger ist denn je, ist die Arbeitssuche. Maria Hofstätter, Abteilungsleiterin für Forschung des Arbeitsmarktservice: "Kaum jemand findet nach seiner Ausbildung gleich einen fixen 40-Stunden Job".

Geht es um das Thema Politik, so zeigt sich vor allem eine Tatsache: die Jugendlichen interessieren sich kaum dafür. Lediglich vier Prozent gaben an, sich "sehr" für Parteipolitik zu interessieren. Immerhin 29% gaben an, sich "etwas" für die Politik zu interessieren. Katharina Hatwagner, Mitautorin der Studie, führt dies auf die schlechte Integration der jungen Menschen in die Politik von gestern zurück. Die alten Mauern hierarchischer Strukturen, fehlende Partizipationsmöglichkeiten und nicht zuletzt die leeren Wahlversprechen führen zu einem Gefühl der Hilflosigkeit. "Ich kann eh nichts ändern" ist der allgemeine Konsens, unterstützt von Erfahrungen vergangener Jahre ­ wie die erfolglose Demo 2000 gegen die Regierungsbildung, die zu nichts führte. Aktuelle Demokratieuntergrabungen, so der neue Reformvertrag ohne das Volk zu hören unterzeichnet wurde, machen die Situation nicht besser. Um der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken, soll zukünftig bereits in der Schule verstärkt politische Bildung unterrichtet werden ­ nicht zuletzt auch deshalb, weil ab dem nächsten Jahr Jugendliche ab 16 Jahren wählen dürfen. Zumindest zeigen die Jugendlichen eine gute demokratische Einstellung. Acht von zehn Jugendlichen sind der Meinung, dass jeder Mensch das Recht hat, für seine Meinung einzutreten und sieben von zehn sehen Wählen als demokratische Pflicht.

Mehr Interesse als für die Politik zeigen Jugendliche für Religion. Immerhin 11% gaben an, dass Religion für sie "sehr wichtig" sei. Regina Polak vom Institut für Praktische Theologie erklärt dies durch die Herausforderung durch den Islam und den Esoterik-Boom, die Religion einfach verstärkt ins öffentliche Bewusstsein rücken. Glaubten im Jahr 2000 die Hälfte der Jugendlichen an einen Gott, so sind dies heute bereits 70%. Als "religiöser Mensch" bezeichnen sich jedoch nur 34% (im Jahr 2000 42%). Die Institution Kirche spielt kaum eine Rolle für die Jugendlichen. Fünf Prozent gaben an wöchentlich in die Kirche zu gehen. Allerdings wünschen sich zwei Drittel bei Geburt, Hochzeit oder Tod den Einbezug der Kirche.

Quelle: Der Standard

 

 

Unser Kommentar: Dass es Jugendliche nicht leicht haben, ist nichts Neues. Vor allem die Ausbildung und der Arbeitsmarkt bereiten Probleme. Um Rückhalt und Sicherheit in einer Welt des Konkurrenzdenkens und Leistungsstrebens zu erlangen, greifen viele Jugendliche auf alte Werte zurück. Traditionelles "Bewährtes" scheint die beste Möglichkeit, etwas von der "guten alten Zeit" in die Gegenwart zu bringen. Heute glauben viel mehr Jugendliche an einen Gott, aber vor allem ist dieser Glaube unabhängig von der Institution Kirche. In Zeiten der Unsicherheit und schlechter wirtschaftlicher und persönlicher Lage griffen die Menschen stets auf den Glauben zurück. Diese Entwicklung ist also durchaus verständlich. Dass politisches Interesse unter"ferner liefen" rangiert, wundert mich ganz und gar nicht. Demokratie und Neutralität sind schöne Worte auf geduldigem Papier ­ oder wie ist es sonst möglich, dass das Volk nicht mehr gehört wird oder noch besser "es nicht gewohnt ist, abzustimmen" wie ein Politiker so schön formulierte (könnte heute Zwentendorf noch verhindert werden?). Wie auch immer, die Jugend ist nicht auf den Kopf gefallen und merkt sehr wohl die Entmachtung des Volkes durch demokratische Diktatur. Vor allem junge Männer kehren vermehrt zurück zu alten Traditionen, was auch durch diverse politische Interventionen mitbestimmt wird. Werden kinderreiche Familien und Alleinverdiener bevorzugt unterstützt, braucht man sich nicht wundern, dass Frauen sich besonders schwer tun, ihre Rechte auf Gleichberechtigung (gleiches Geld für gleiche Arbeit!) durchzusetzen. Österreich hinkt, was Gleichberechtigung betrifft, weit hinter den anderen Ländern nach. Die Einstellung der Jugend zeigt es deutlich. Die "Revolution der Frauen" scheint also nicht nur zu stagnieren, sondern auch noch rückwärts zu laufen. Aber viele junge Frauen zeigen durchaus die richtige Motivation und streben nach Unabhängigkeit und Selbständigkeit, entgegen ihrer männlichen Altersgenossen. Diese Kluft zwischen den Geschlechtern wird aber zwangsläufig zu Problemen führen. Etwas überspitzt ausgedrückt: Ein Mann, der sich eine brave Hausfrau wünscht, die kochend, putzend und kinderhütend sich um sein kühles Bier kümmert, während er sich Fussball reinzieht, muss dann erst einmal eine solche Frau finden. Der Mann als Ernährer hat für viele Frauen ausgedient. Um so mehr verwunderlich ist die Tatsache, dass zwar beide Geschlechter Sex für eine Beziehung wichtig finden, dieser aber für 60% der Frauen nicht gut zu sein braucht.

Birgit Oberwalder/Zentrum Rodaun

 

Links:

Der Standard:

http://diestandard.at/?url=/?id=1194863243608

Institut für Jugendforschung:

http://www.oeij.at/content/de/home/pressemitteilungen/index.html

Genderforschung der Universität Wien:

http://www.univie.ac.at/gender/

 

Literaturtipps:

M. M. Jansen, A. Röming und M. Rohde: Gender Mainstreaming. Herausforderung für den Dialog der Geschlechter. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

L. Rose und M. Schulz: Gender-Inszenierungen. Jugendliche im pädagogischen Alltag. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!

M.A. Frunder: Zur Gleichberechtigung. Bestellmöglichkeit bei amazon.at!


Weitere Informationen zu diesem Themenbereich finden Sie in unserem Beitrag

Die Ängste der Kinder

 

 


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